Liedzeit

Anatomie eines Falles

2023-11-07

Das nennt man wohl Arthouse. Wenn keiner weiß, was eigentlich passiert. Nun, eine Frau, gespielt von Sandra Hüller, wird verdächtigt, ihren Mann getötet zu haben. Weitere Verdächtige gibt es nicht. Eventuell hat der Gatte sich in selbstmörderischer Absicht aus dem dritten Stock auf eine mit einem halben Meter Schnee bedeckte Hütte fallen lassen. Aber wer macht den sowas? Oder er ist gar aus Versehen gefallen!

Einziger Zeuge, der mehr oder weniger blinde Sohn (Milo Machado Graner). Dass er blind ist, daran ist der Vater schuld, was schon mal ein schönes Selbstmordmotiv hergibt. Andererseits war er ein weinerlicher Idiot, wie ein Mitschnitt eines Streits vom Vortag enthüllt. Wer nimmt die Streits auf? Eben so ein weinerlicher Idiot. Selten (tatsächlich nie) hat man einen so einseitigen Streit erlebt, wo man, ohne die Hintergründe genau zu kennen, der Gattin ohne zu zögern das unbedingte Recht einräumen möchte, sich des Mannes zu entledigen.

Es gibt unendlich lange Dialoge, manchmal unterbrochen von unendlich langen Monologen. Das Ganze mit einer im Jahre 2023 nicht für möglich gehaltenen Lippenasynchronität. Besonders bei Sandra, die offensichtlich durch die Synchronarbeit entweder überfordert war, oder aber, was ich für wahrscheinlicher halte, den armen Pseudoarthousern, die sich das nicht im Original ansehen, ihre Verachtung zu demonstrieren. Und um es besonders unerträglich zu machen, gibt es sie dauernd im Close-up. (Da half nur noch Augen schließen.)

Die Gerichtsszenen völlig unglaubwürdig, der Staatsanwalt besonders; den Verteidiger hätte man mögen können, wäre er nicht unglaubwürdigerweise in Sandra verliebt.

Egal, die letzte halbe Stunde war dann nahe daran, beinahe für das vorherige Leid zu entschädigen, weil das ganze etwas an Fahrt aufnimmt. Der Sohn spielt Klavier, am Anfang schlecht, irgendwas Wildes, was dem Vater wohl gefallen hätte, dann (es ist ein Jahr vergangen) gut, aber endlich Chopin, was, wie einer der Mitzuschauer schön erkannte, als Hindwendung zur Mutter interpretiert werden durfte.

5/10 Abaton (im Orginal wäre das vielleicht eine 7/10)


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