Liedzeit

2023-09-01

Cesar Birotteau ist ein erfolgreicher Parfümhändler, glücklich verheiratet, mit geliebter Tochter im heiratsfähigen Alter. Eigentlich hat er genug zusammengespart, um sich seinen Jugendtraum zu erfüllen und ein kleines Anwesen in der alten Heimat zu erwerben. Jedoch, da gibt es ein totsicheres Immobiliengeschäft. Seine Frau warnt ihn. Er jedoch wagt es, und natürlich geht die Sache schief.

Er ist ruiniert. Außerdem hat er noch ein weiteres Geschäft im Sinn, ein Haarmittel auf Haselnussöl-Basis. Nicht, dass graue Haare wieder Farbe bekämen oder neu wüchsen. Nein, alles wissenschaftlich plausibel, und es gibt eine sehr schöne Anzeige, in der alles genau erklärt wird. Das aber ist ein Nebenschauplatz.

Denn, es gilt mit dem Ruin umzugehen. Und Balzac erzählt seitenweise wie die Gesetzeslage ist, wer warum wem was schuldet. Die Bankiers kommen, sagen wir, nicht so gut weg. Tatsächlich ist das sehr langatmig. Aber darum geht es in der Menschlichen Komödie. Zu zeigen wie die Gesellschaft damals funktionierte. Es gibt eine ganz kleine Liebesgeschichte zwischen der Tochter und enem Angestellten, aber das spielt kaum eine Rolle. (Obwohl Balzac da besonders großartig ist, wo er erklärt wie der etwas behinderte junge Mann dennoch die Liebe der Schönen verdient.) Außerdem gibt es einen anderen ehemaligen Angestellten, der der Schuft des Romans ist. Der hatte vergeblich versucht, die Gattin zu verführen. Und geklaut hat er auch, kein Wunder, dass er unseren Mann, der ihn nicht angezeigt hat, abgrundtief hasst. Uns sein Teil zum Ruin beiträgt.

All das könnte öde sein. Ist es aber nicht, und das liegt daran, dass Balzac auf einen glänzenden Einfall kam. Es hätte nahegelegen aus Birotteau eine Witzfigur zu machen und/oder einen gierigen Widerling. Balzacs großartiger Einfall war, aus dem Mann „das Sinnbild der Redlichkeit” zu machen. (Wie großartig die Idee war, war ihm natürlich bewußt.)

Und so schuftet der Mann nach dem Ruin, nachdem alle Gläubiger sich mit ihrem Verlust schon abgefunden haben, und er rechtlich nichts mehr schuldig ist, solange bis er allen alles zurückzahlen kann (das Haaröl hilft ein wenig). Er erhält seine Belohnung (sogar aus der Privatschatulle des Königs). Alle lieben ihn. Und so kann er in Ruhe sterben.

8/10 357